Am 16. November 1947 hielt ich in später Stunde in den dicht verschneiten Märchenwald meinen Einzug. Hier und da blitzte ein Lichtlein auf – es war wie ein Trost in dieser tiefen Einsamkeit. Am frühen Morgen (es war der 17. November 1947) trippelte ein kleines Mädchen zaghaft die Stufen herauf – es war Gerda Roscher – , die als erste Schülerin das neue Schulhaus staunend betrat. Bald füllte sich der kleine Raum, der wohl Bänke, aber weder Ofen noch Tafel besaß. Doch die Eltern zeigten frohe Gesichter, sie waren einer großen Sorge enthoben. Mussten sie doch ihre Kleinen unter Gefahren bisher täglich zur Stadt nach Kaufbeuren bringen. So begann der Unterricht für das 1. und 2. Schuljahr. Die Schule in Hart unterstand Herrn Rektor Teichmann, Knabenschule Kaufbeuren. Er besuchte jede Woche das Schulhaus und nahm regen Anteil an der Entwicklung. Auch Herr Schulrat Wimmer kam öfter nach Hart und erfreute sich an den Leistungen der Schüler. Fehlte es doch an allen möglichen Hilfsmitteln, aber die Emsigkeit der Schüler überwand alle Schwierigkeiten.
Als die Schülerzahl von 94 auf 120 Schüler anstieg, wurde im Februar 1948 eine zweite Lehrkraft bewilligt. Es war Fräulein Klothilde Engstler aus Kaufbeuren, ein vornehmer Mensch von großer Pflichttreue, stets liebenswürdig und hilfsbereit – eine seltene Kameradin. Nun gab es wirklich eine 1. und eine 2. Klasse, ein schöner Erfolg. Der 3. Raum wurde bereits zu Weihnachten der Fachschule zur Verfügung gestellt. Jetzt war die Baracke voll besetzt. Im Frühjahr bekam die Schule einen Laufgang mit Klosettanlage. Dem Notklosett hatte der Sturm Tür und Dach entführt, so dass die Kinder den nahen Wald selbst im Winter benutzen mussten. Ostern 1948 kamen die ersten Lesebücher heraus. Dankbar gedenke ich der Mädchenschule Kaufbeuren, die uns für die 60 Schüler aus der 2. Klasse 20 alte Lesebücher zur Verfügung stellte. Noch nie sind Bücher von Eltern und Schülern so fleißig gelesen worden wie diese 20 Stück. Die amerikanische Schulspeisung lag in den Händen des Hausmeister-Ehepaares Wörfel. Herr Wörfel, ein sehr geschickter, fleißiger Mann, starb bereits im Sommer 1948. So bewohnte ich dann mit Frau Wörfel allein die Baracke.
Den katholischen Religionsunterricht erteilte Herr Pfarrer Runge. Die evangelischen Schüler, welche damals noch als Gastschüler der katholischen Schule angehörten, betreute Schwester Gertrud in Religion. Die altkatholischen Schüler Herr Pfarrer Siehr. Jeden Mittwoch wurde ein Schulgottesdienst im Lager Riederloh abgehalten. Es kamen fast alle Kinder. Meist sangen wir Marienlieder, die den Kindern leicht zu Gehör gingen. Den Sonntagsgottesdienst und die Maiandachten feierten wir in der erschreckenden Enge und Schwüle des uns zugewiesenen Lagerraumes. Doch die trostreichen Predigten wurden uns zu einer echten Kraftquelle. Auf Wunsch von Herrn Runge wanderten wir am Karfreitag 1948 gemeinsam mit Eltern und Schülern nach Kaufbeuren zum Heiligen Grab. Es war ein schöner unvergeßlicher Frühlingstag. Man hatte das Gefühl, als sollte auch für uns Siedler wieder ein neuer Ostermorgen kommen. Die Zeit zwischen dem Vormittags- und Nachmittagsunterricht verbrachten die Kinder meist singend und spielend auf der noch unbelebten Straße. Wir bekamen auch hohe Besuche, besonders von Seiten der Amerikaner.
Die Schule wurde das Paradestück der Siedlung. Es barg ja doch das wertvollste Kleinod – die Jugend.